Wie ich Chasan wurde

Wie wird eine Wagner-Sängerin zu einer jüdischen Kantorin? Mein Werdegang deutet wirklich nicht darauf hin; vielmehr hätte ich – hätte man mir diese Entwicklung vor 15 Jahren prophezeit – mit einem herzhaften „Ho jo to ho“ lauthals gelacht. Aber manche jüdische Seele lässt es einfach nicht zu, will man sie ignorieren. Die meine war offenbar stark genug, die großen Orchester zu übertönen und mich auf diesen neuen Weg zu lenken!

Schließt der neue Weg den alten aus? Keineswegs! Es gibt zwischen meinen beiden voneinander so abweichenden Welten durchaus Parallelen, so dass das Bauen einer Brücke von Walhalla zu Ohalah (Aleph Rabbiner- und Kantorenkonferenz) nicht halb so schwierig war wie ich anfangs vermutet hatte.

Ledor vador – von Generation zu Generation! Weder die Musik noch die Liturgie „gehören“ uns; aber wir haben die Ehre, sie vorzutragen so gut und so ehrlich wir können, und die Pflicht, ebenfalls so gut und so ehrlich wir können, sie weiterzugeben. Es geht in beiden Fällen darum, andere Menschen mit meiner eigenen Stimme zu berühren, dabei immer wissend, dass die Stimme der Musik dient und die Musik der Botschaft. Selbstverständlich überbringe ich die Botschaft, aber die Urheberin bin nicht ich; ich bin lediglich die Mittlerin. Für eitle Selbstdarstellung ist in diesem Konzept kein Raum, weder auf der Opernbühne noch in der Synagoge.

In der Synagoge möchte ich den Mitbetenden nicht „vor-beten“ und „vor-tragen“, sondern mit ihnen gemeinsam „mit-beten“ und „mit-lernen“. Ich bin überzeugt, dass es gerade die partizipativen Gottesdienste und Lernstunden sind, die unsere wunderbare Liturgie, unser vielfältiges Wissen, unsere mannigfachen Traditionen lebendig machen.

Ich habe meine Wege nicht alleine bewältigt; ich stehe auf mächtigen Schultern. Ich kann ihr Vermächtnis am besten würdigen, indem ich es der nächsten Generation weiterreiche. Das mache ich als Gesangslehrerin und auch als jüdische Geistliche. Es ist mir eine Ehre und ein Bedürfnis, mit dieser Fähigkeit in meinen beiden, sehr unterschiedlichen Welten tätig sein zu dürfen. Ich bin tief dankbar.